Als ich das erste Mal von Rhabarberleder gehört habe, dachte ich, dass es sich um eine vegane Lederalternative handeln würde. So wie beispielsweise Ananasleder, das aus den Blättern der Ananas hergestellt wird. Die Bezeichnung Rhabarberleder hat aber nur zum Teil etwas mit dem köstlichen Obst – pardon, Gemüse – zu tun. Denn es handelt es sich hier um echtes Leder, das aber dank der fantastischen Eigenschaften des Rhabarberwurzelextraktes rein pflanzlich gegerbt wird. Und diese Entdeckung haben wir Dr. Anne-Christin Bansleben zu verdanken, die zum einen großartige rhabarberleder®-Produkte für ihr eigenes Fashion-Label Deepmello produziert, Rhabarberleder für andere Unternehmen und Designer herstellt und ihr Wissen nebenbei als Vorstand beim IVN (Internationaler Verband für Naturtextilien) einbringt. Ich habe Anne-Christin Bansleben in Berlin getroffen und mich mit ihr über diese zukunftsweisende Neuerung im Bereich der nachhaltigen Lederverarbeitung unterhalten.
Ein Gespräch über Rhabarberleder
my-GREENstyle: Rhabarberleder – der Begriff ist ja erst mal etwas verwirrend. Können Sie, als Schöpferin dieses Begriffes, für meine Leser netterweise kurz ausführen, was es damit auf sich hat?
Anne-Christin Bansleben: Rhabarberleder bedeutet, dass wir Leder mit einem Extrakt aus der Rhabarberwurzel pflanzlich gerben. Wir haben ein Verfahren entwickelt, das die Verwendung von giftigen Chromsalzen im Gerbungsprozess überflüssig macht.
my-GREENstyle: Wie kamen Sie auf die Idee, diese Pflanze so eingehend zu untersuchen?
Anne-Christin Bansleben: Die Idee war tatsächlich eine Alternative zur herkömmlichen Gerbung zu finden. Wir wussten, dass die Rhabarberwurzel Inhaltsstoffe enthält, die das können müssten. Wir haben Experten hinzugezogen, die sich mit pflanzlicher Gerbung auskennen und haben daraufhin das Extrakt optimiert. Darüber hinaus ist Rhabarber eine sehr effektive, anspruchslos wachsende Pflanze. Man muss nur wenig Aufwand betreiben, um an die notwenigen Inhaltsstoffe heranzukommen.
my-GREENstyle: Und wo wird der Rhabarber angebaut, bzw. wo findet die gesamte Produktion statt?
Anne-Christin Bansleben: Das von uns hergestellte Rhabarberleder wird zu 100 Prozent in Deutschland produziert. D.h. von der Pflanze aus der das Extrakt gewonnen wird bis zu den Häuten, der in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Rinder (die als Milch- und Fleischvieh gehalten werden und nicht zur Ledergewinnung) und der Gerbung findet der gesamte Prozess in Deutschland statt. Für uns ist klar, dass wir neben dem ökologischen Aspekt auch Sozialstandards einhalten wollen. Kurze Transportwege und faire Löhne sind für uns selbstverständlich.
Soziale und ökologische Aspekte spielen eine sehr große Rolle
my-GREENstyle: Bei Ihrem Label Deepmello finden wir Jacken, Kleider, Gürtel und Taschen aus Rhabarberleder. Wie können andere Designer dieses innovative Material nutzen?
Anne-Christin Bansleben: Neben unserem Label Deepmello vertreiben wir auch das Material an Interessenten aus den Bereichen Interior, Schuhe, Bekleidung, Accessoires als Alternative zu herkömmlichem Leder.
my-GREENstyle: Gibt es denn schon Anfragen von Unternehmen, die bislang herkömmlich gegerbtes Leder verwendet haben und die jetzt auf die nachhaltige Alternative umsteigen möchten?
Anne-Christin Bansleben: Einige große Konzerne finden unser Material passend und interessant. Wir sind in sehr guten Gesprächen. Nachfrage steigend…
my-GREENstyle: Für alle, die noch keinen direkten Kontakt hatten: Sieht Rhabarberleder anders aus, fühlt es sich anders an? Wie unterscheidet es sich von konventionellem Leder?
Anne-Christin Bansleben: Auf den ersten Blick ist die Haptik etwas ungewohnt. Dafür ist die Gerbung zuständig. Überraschend ist vielleicht auch der leicht süßliche Rhabarbergeruch. Der verfliegt zwar mit der Zeit, aber es fehlt der beißende Ledergeruch, der bei der chemischen Gerbung entsteht.
Rhabarberleder ist auf Grund seiner Verarbeitung besonders langlebig
my-GREENstyle: Und wie verhält sich das Material hinsichtlich seiner Strapazierfähigkeit und Lebensdauer im Vergleich zu konventionellem Leder?
Anne-Christin Bansleben: Wir verzichten komplett auf „Schnellzucht“-Leder und achten darauf, dass unser Leder im Bearbeitungsprozess nicht zu stark gespannt wird. Das wirkt sich auch sehr positiv auf die Lederqualität aus.
my-GREENstyle: Was genau hat es denn mit dem Spannen auf sich?
Anne-Christin Bansleben: Leder muss zwischendurch gespannt und getrocknet werden. Und da Leder nach Quadratmetern bezahlt wird, bedeutet mehr Fläche größeren Umsatz. Deswegen werden die Leder oft sehr stark gespannt. Der Nachteil ist, dass die finale Ware nicht mehr so elastisch ist. Mit unserer Verarbeitungsweise können wir ganz dünne Leder für die Bekleidung herstellen, weil die Ausgangsqualität sehr gut ist.
my-GREENstyle: Gibt es noch weitere Unterschiede?
Anne-Christin Bansleben: Die handelsüblichen Chromleder werden nach dem Gerbprozess noch mit Silikon oder Plastik beschichtet. Das macht das Leder zwar sehr unempfindlich, aber positive Eigenschaften wie die Atmungsaktivität, gehen verloren. Wir beschichten unser Leder nicht und setzen auf natürlich behandeltes Material.
my-GREENstyle: Rhabarberleder kann dem natürlichen Kreislauf wieder zugeführt werden?
Anne-Christin Bansleben: In der Tat. Rhabarberleder ist zu 100 Prozent biologisch abbaubar – dauert aber eine Weile.
my-GREENstyle: Ruhen Sie sich denn nun auf dem Rharbarber aus? Oder suchen Sie auch nach anderen innovativ nutzbaren Pflanzenbestandteilen?
Anne-Christin Bansleben: Im Hintergrund forschen wir weiter, entwickeln und lancieren Produkte, um die Pflanze ganzheitlich zu nutzen. Sprich: Inhaltsstoffe aus der oberirdischen Blattmasse lassen sich für Kosmetik verwenden. Wir haben gerade die Kosmetiklinie redrhubarb lanciert. Und ja, wir sind noch auf der Suche nach anderen Pflanzen. Da haben wir schon ein paar Kandidaten im Blick.